Johanna Seibert von Fock

Was ist Weltliteratur?
Die Graphen auf unserer Kurswebseite sind sehr hilfreich, um das Konzept <> umfangreich zu verstehen. Sie illustrieren, in welchen Ländern, Sprachen und Perioden unterschiedliche Übersetzungen von Goethes Werk Die Leiden des Jungen Werthers veröffentlicht wurden. Zum Beispiel ist beim ersten Graph bemerkenswert, dass schon im 18. Jahrhundert – kurz nachdem der deutsche Originaltext veröffentlicht wurde – mehrere Übersetzungen erschienen. An Hand des Graphen ist es zu erkennen, dass Übersetzungen von Goethes Briefroman zuerst hauptsächlich in großen, westeuropäischen Städten, wie z.B. Amsterdam, Paris, London, Dublin und Venedig, erschienen. Dann im 19. Jahrhundert wurde Goethes Werk auch in andere europäische Länder wie Dänemark, Spanien, Ungarn und Polen „verpflanzt.” Interessanterweise erschienen gleich mehrere italienische Versionen, die in Milan, Florenz, Padua und Rom herausgegeben wurden. Wie die zwei folgenden Graphen zeigen, wurde der Roman in den 20. und 21. Jahrhunderten auch in nicht-europäischen Ländern veröffentlicht. Er erschien in fernen Ländern wie den Vereinigten Staaten, Ägypten und Korea. Die zunehmende Vielfalt an Fremdsprachen in die Goethes Werk übersetzt wurde, weist darauf hin, dass Goethes Werk wahrlich eine Weltliteratur ist, da es in viele kulturelle und sprachliche Kontexte verpflanzt worden ist. Die letzten zwei Graphen fassen die Information noch einmal übersichtlich zusammen. Sie verbildlichen, wie Goethes Werk zunehmend in andere Sprachen übersetzt wurde und immer mehr auch in nicht-europäischen Ländern erhältlich wurde. Zwar wurde der Roman überwiegend auf englisch, italienisch, französisch und spanisch übersetzt, aber er ist bemerkenswerterweise auch auf arabisch, chinesisch und sogar auf Urdu erhältlich.

Die drei niederländischen Übersetzungen, mit denen ich mich für Projekt II beschäftigt habe, weisen jedoch auch auf die komplizierte Natur von Übersetzungen hin. Laut Schleiermachers Übersetzungstheorie fungiert der Übersetzer als eine Art Brücke zwischen Leser und Autor. Allerdings argumentiert er, dass der Übersetzter nur zwei Möglichkeiten hat. Entweder er bringt den Leser zum Autor, indem er den Originaltext sehr wortwörtlich übersetzt, oder er bringt den Autor zum Leser, indem er der Übersetzung verschiedene kulturelle Nuancen verleiht. Mit anderen Worten muss der Übersetzer sich entscheiden, ein Werk entweder sehr genau in eine Fremdsprache zu übersetzen (ein deutsches Werk auf niederländisch) oder das Werk so zu übersetzen, als hätte der Autor es in dieser Sprache verfasst (ein deutsches Werk so als wäre es von einem Niederländer geschrieben). Die Übersetzungen, die ich untersucht habe, stimmen aber nicht ganz mit Schleiermachers Übersetzungstheorie ein, da sie sich meines Erachtens viel mehr um Vermischungen dieser zwei Wege handeln. An manchen Stellen wurde der Originaltext sehr wortwörtlich übersetzt, aber es gab auch Variationen. Somit ist es sehr schwierig, einen Originaltext so treu wie möglich zu übersetzen.

Eine Analyse von Philipp Stölzls Film <<Goethe!>> trägt dazu bei, dass Die Leiden des Jungen Werther eine Weltliteratur ist. Der Film zeigt, wie Goethes Briefroman aus dem 18. Jahrhundert auch ins jetzige 21. Jahrhundert verpflanzt werden kann, um ein modernes Publikum anzusprechen. Interessanterweise vermischt Stölzl die Handlung des Romans mit Goethes Biografie, so dass Goethe als Werther dargestellt wird. Dadurch bringt der Übersetzter (Stölzl) den Autor (Goethe) zum Leser, indem er ihn sehr sympathisch und romantisch darstellt. Der Film ist somit nicht besonders faktentreu, da er historisch nicht immer akkurat ist. Zum Beispiel bastelt Goethe im Film ein Papiertheater für Lotte, die sehr von Lessings Emilia Galotti begeistert ist und sich sehnlich wünscht, es einmal auf einer Bühne vorgeführt zu sehen. Dieses Detail kommt nicht im Roman vor – Werther schenkt Lotte nie ein selbstgebasteltes Theater – sondern ist eine Anspielung auf Goethes Karriere als Theaterdirektor. Indem Stölzl Werther und Goethe in eine Figur verschmelzt, erreicht er zwei Ziele. Erstens wird Goethe, der sonst überwiegend als ein berühmter, historischer Schriftsteller bekannt ist, als ein junger, attraktiver und verliebter Mann dargestellt, der sehr menschenfreundlich erscheint und das Publikum viel mehr anspricht. Zweitens wird Werther, durch die Verbindung zum historischen Goethe, als eine tatsächliche Person dargestellt und nicht nur als fiktionale Figur verstanden, womit sein Leiden vielleicht etwas verständlicher und realer wirkt. Die Tatsache, dass Goethe im Film wie Werther im Roman in einem blauen Frack und einer gelben Weste gekleidet ist, unterstreicht die Fusion der zwei ansonsten getrennten Personen. Es ist auch eine Andeutung auf Goethes Farbenlehre, in der gelb und blau die Erde und den Himmel repräsentieren und somit die ganze Welt ausmalen. Ein letztes Beispiel ist, dass Goethe im Film einige seiner berühmten Gedichte an Lotte richtet. Dadurch dass die Gedichte im Kontext von der Geschichte im Roman – Werther sehnt sich nach Lottes Liebe – gelesen werden, verleiht Stölzl den Gedichten einen tieferen Sinn und macht sie fühlbarer für das Publikum.

Goethes Gedicht <> repräsentiert das Konzept <>, indem es die reale, greifbare Welt und die abstrakte imaginäre Welt überbrückt. Goethe definierte Weltliteratur als ein Gemeingut, dass von allen Menschen genossen werden sollte. Weltliteratur handelt von einem zeitlosen, ideellen Weltmarkt, der geographische Grenzen überschreitet. In dem Gedicht kann man den „Garten“ (2) als Metapher für diesen literarischen Garten an Ideen verstehen. Der „Garten“ verkörpert Goethes Buch West-östlicher Divan, und das Gedicht selbst <> ist ein „Blatt“ (1) in diesem Buch. Das Gedicht erklärt, dass es dem „Wissenden“ – oder dem Leser – „geheimen Sinn“ zu „kosten“ gibt und ihn oder sie „erbaut“ (3-4). Die Wörter „kosten“ und „erbauen“ weisen beide darauf hin, dass man das Gedicht empfinden und genießen soll. Es soll einem „innerlich in eine gute Stimmung versetzen.” In der zweiten Strophe beschreibt sich das Gedicht als „lebendig“ (5), was eine wichtige Aussage über Weltliteratur ist. Es bedeutet, dass die wahre Weltliteratur immer am Leben ist (in dem Sinn, dass sie auf Papier existiert) und, dass sie voll Leben ist durch diverse literarische Konventionen, die man auch als „Lieder“ (11) verstehen kann. In diesem Fall benutzt Goethe eine muntere Reimstruktur, die dazu führt, dass sich die Zeilen „erwiedern” (9). In der letzten Strophe macht das Gedicht auch eine Andeutung auf „rechten Sinn“ (10). Damit verbindet das Gedicht den „geheimen Sinn“ (3) – welchen man als die geheimnisvolle, imaginäre und poetische Welt interpretieren kann – und den „rechten Sinn“ (10) – den man als die greifbare, natürliche, reale Welt interpretieren kann. Insgesamt exemplifiziert das Gedicht <> die Fusion dieser zwei Welten und definiert somit <> als ein Gemeingut, das alle Menschen in allen Ländern und Perioden genießen sollten.

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