Analysis

Bereits zu Lebzeiten wusste Hilma af Klint, dass ihre Abstraktionen bis lange nach ihrem Tod missverstanden würden (Hilma af Klint: Paintings for the Future 33). In Schweden am 26. Oktober 1862 erstellte die Künstlerin im Zeitraum zwischen 1906 und 1915 etwa 193 Gemälde, in denen sie stets nach dem Vokabular einer transzendenten Realität suchte—einem Ort fernab einer konkreten und sichtbaren Welt (17). Diese Denkweise trat langsam im Kunstdiskurs hervor: die Gemälde vom Künstler Wassily Kandinsky (1866-1944) wurde mit den Forschungsinteressen von “spirituellen, metaphysischen und utopischen Themen” verbunden und auseinandergesetzt (“Weltempfänger”). Af Klints Werk wurde bedeutend weniger beachtet und als geschlechtsspezifische Äußerung verstanden. Deswegen machte die Künstlerin sich genau dieses Missverständnis zu Nutze und elaborierte den Gedanken der Frau als Rezeptor für außerweltliche Signale (Hilma af Klint: A Pioneer of Abstraction 163). Durch großen, nicht-figurativen Malerei mit Symbolen, die man nicht bestimmt benennen konnte, fing af Klint an, ihre Bilder weiter zu abstrahieren.

Die Künstlerin setze sich aktiv mit dem Werk von Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) und vom Anthroposoph Rudolf Steiner (1861-1925) auseinander, verband es mit ihren eigenen Gedanken und schuf daraus den Großteil ihres malerischen Werkes. Ihre Bilder!1 Der Titel bezieht sich auf die Titel vom Wassily Kandinskys Traktat Über das Geistige in der Kunst (1910) und vom Rudolf Steiners Artikel “Die Stufen der höheren Erkenntnis.” Welch !2 wurden zu einer Art visuellen Übersetzungen theoretischer Konstrukten. Die Malerei versuchte nicht, etwas ein spirituelle Erlebnis wiederzugeben, sondern dieses zu erklären. 2

Dementsprechend, ähnlich wie bei Kandinsky, wurden die Gemälde die visuelle Synthese der abstrakten Theorien. Außerdem verstand af Klint ihr Werk als kein Portal einer anderen Dimension, sondern als einen Beweis, dass es solch einen Ort gab. Zur Erstarkung ihres Vokabulars verwendete die Künstlerin Theorien der Farben von Goethe als Quellenmaterial. Sie interessierte sich auch für das taxonomische System von Carl Linnaeus (1707-1778) und rekontextualisierte und dekontextualisierte die Diskurse der Sexualität von Pflanzen und Goethes männliches Blau und weibliches Gelb in den Gemälden, um sexuelle Unterschiede zu überwinden und zu abstrahieren (233). Deshalb wurde zum Beispiel Grün illuminiert, aber nicht als der Grund davon, und bekam eine mythische and transiente Qualität. 3

Das war die allgemeine Tendenz ihrer Verwendung des Quellenmaterials. Wie eine ältere Künstlerin Georgiana Houghton (1814-1884), die kleine spirituelle Zeichnungen herstellte, schrieb af Klint die Schöpfung ihrer enormen Gemälden wie die Serien Grupp IV, De tio största von 1907, Serie WUS/Sjustjärnen von 1980 und Altarbilder von 1915 externen Quelle zu (sowohl die erwähnten Denker und eine mythische transient Welt). Am 9 Oktober 1944 starb die Künstlerin in einem Straßenbahnunfall und damit hörte die Aktivierung der Gemälden auf.

Aufgrund des Todes der Herstellerin wurden die Werke leise, gesiegelten Gegenstände. Aber!2 In Bezug auf die freistehenden unabhängigen Möglichkeiten (Tönen, Farben einer Gemälde) einer höheren spirituellen Erlebnis, schrieb Steiner, “Das macht eben die Beweglichkeit und Freiheit der imaginativen Welt aus, dass das Zwischenglied der äußeren Dinge fehlt, dass das Geistige ganz unmittelbar in den freischwebenden Tönen, Farben usw. sich auslebt” (Steiner “Stufen der höheren Erkenntnis” 23).

!3 In Bezug auf die transient Eigenschaft der Kunst, schrieb Steiner über die Meinung von Goethe, “Und die Kunst als dieses dritte Reich zu begreifen, hat die Ästhetik als ihre Aufgabe anzusehen. Das Göttliche, dessen die Naturdinge entbehren, muss ihnen der Mensch selbst einpflanzen, und hier innen liegt eine hohe Aufgabe, die den Künstlern erwächst. Sie haben sozusagen das Reich Gottes auf diese Erde zu bringen” (Steiner “Goethe als Vater einer neuen Ästhetik” 11).

Welch !3 ohne die Triangulation zwischen einer Art von Mittler (die Denker oder die mythische Welt), der Künstlerin und dem Ergebnis (die Gemälde) wurden die Werke auf Leinwand Thesen einer anderen Denkweise, die durch ihre Untersuchung (wie af Klint die Theorien von Goethe studierte) reaktiviert werden konnten.

Welch !4

Bibliographie

Hilma af Klint: A Pioneer of Abstraction. Edited by Iris Müller-Wassermann with Jo

Widoff. Hatje Cantz Verlag, 2013.

Hilma af Klint: Paintings for the Future. Edited by Tracy Bashkoff. Guggenheim

Museum Publications, 2018.

Kandinsky, Wassily. Über das Geistige in der Kunst. 1913. Benteli-Verlag, 1952.

Steiner, Rudolf. “Die Stufen der höheren Erkenntnis.” Artikelserie aus der Zeitschrift

„Lucifer-Gnosis“ 1905 – 1908. Rudolf Steiner Online Archiv, 2010.

http://anthoposophie.byu.edu. Accessed 27 Jan 2019.

Steiner, Rudolf. “Goethe als Vater einer neuen Ästhetik.” Deutsche Worte, 9. Jg., Heft 4,

April 1889 (GA 30, S. 23-46). Rudolf Steiner Online Archiv, 2010.

http://anthoposophie.byu.edu. Accessed 27 Jan 2019.

“Weltempfänger—Georgiana Houghton—Hilma af Klint — Emma Kunz.” Lenbachhaus,

https:// www.lenbachhaus.de/ausstellungen/georgiana-houghton-hilma-af-klintemma-

kunz/. Accessed 1 Feb 2019.

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