Analysis

Für dieses Projekt habe ich drei niederländische Übersetzungen von Johann Wolfgang Goethes Die Leiden des Jungen Werthers analysiert. Die erste dieser Übersetzungen, Het lijden van den jongen Werther, wurde von B. Wild und J. Altheer 1790 übersetzt. Obwohl es sich um den “derden druk” (“dritten Druck”) handelt, verspricht die Titelseite, dass der Text “uit het hoogduitsch” (“aus dem Hochdeutsch”) stammt, was andeutet, dass es eine direkte Übersetzung ist. Auch die zweite niederländische Übersetzung, Het lijden, van den jongen Werther: Uit het Hoogduitsch, von 1793 betont schon im Titel, dass der Übersetzer, Johannes Allart, Goethes Originaltext übersetzte. Die dritte Übersetzung, mit der ich mich beschäftigt habe, Het Lijden van de Jonge Werther, wurde 2002 von Thérèse Cornips übersetzt. Allerdings handelt es sich in diesem Falle um eine neuere Ausgabe von einer Übersetzung aus dem Jahr 1787.

Ein aussagender Unterschied zwischen Goethes deutschen Originaltext und diesen niederländischen Übersetzungen ist die leichte Veränderung der Namen der Hauptfiguren des Romans. In den früheren niederländischen Übersetzungen von 1790 und 1793 kommt der Kosename “Lotte” nie vor. Stattdessen wird immer nur von “Charlotte” gesprochen. Auch werden die Namen “Albert” und “Wilhelm” in diesen früheren Übersetzungen als “Aelbert” und “Willem” übersetzt, welches den Figuren eine niederländische Nuance verleiht. Interessanterweise jedoch wird in der neueren Übersetzung von 2002 durchaus von “Lotte” gesprochen. Letztendlich ist der Name “Werther” somit der einzige Name, der in allen drei Übersetzungen genauso wie im Originaltext erscheint.

Ein weiterer bedeutender Unterschied zwischen den Übersetzungen und dem Original taucht am Ende des Romans auf. In den zwei früheren niederländischen Übersetzungen wird der Eintrag vom 12. Dezember schon am 8. Dezember notiert. Der nächste Eintrag, der im Originaltext am 14. Dezember erscheint, wird jedoch erst dem 16. Dezember in der Übersetzung von 1790 und dem 19. Dezember in der Übersetzung von 1793 zugewiesen. Somit entsteht eine viel größere Lücke zwischen diesen zwei Einträgen, die mehr als eine Woche beträgt. Allerdings ist der letzte Brief an Wilhelm, wie auch im Originaltext, immer noch vom 20. Dezember datiert. Dies bedeutet, dass er nur kurz nach dem letzten Tagebucheintrags in den Übersetzungen entstand, im Gegensatz zudem Originaltext, laut dem Werther beinahe eine Woche wartetet, um seinen Freund zu schreiben. Auch ist esbemerkenswert, dass die Übersetzung von 1790 ein Nachwort enthält. Der Titel lautet “Het Lijden van den Jongen Werther Onderzocht, of De Zelfmoord Veroordeeld”, welchesdie Frage stellt, ob jemanden Selbstmord verurteilt.

Insgesamt erweitert die Analyse der Übersetzungen im Vergleich zudem deutschen Originaltext mein Verständnis des Konzepts <<Weltliteratur>>. Die Tatsache, dass Goethes Roman nur wenige Jahre später schon mehrfach ins Niederländische übersetzt wurde, weist auf die Tatsache hin, dass dieses Buch nicht nur in Deutschland eine große Auswirkung hatte, sondern schon damals geographische Grenzen überschritt. Indem Vorwort der 1793 Übersetzung erwähnt der Übersetzer sogar, dass „onze Nederlanders“ („unsere Niederländer“) schon andere niederländische Ausgaben des Romans besitzen. Die niederländische Rechtschreibung der Namen betont die Idee, dass Goethes Werk nicht nur ein exklusiver deutscher Text ist, sondern auch als niederländische Geschichte verstanden werden kann. Die Übersetzung von 2002 zeigt zudem noch, dass Goethes Romannicht nur im 18. Jahrhundert sogar noch jetzt im 21. Jahrhundert einflussreich und relevant ist. Diese zeitlose Eigenschaft von Die Leiden des Jungen Werthers entsteht dadurch, dass die Präsentation des Romans, durch u.a. modernere und buntere Titelseiten, sich mit der Zeit zwar verändert, um die jetzige Gesellschaft anzusprechen, aber dass die wesentliche Botschaft des Romans dieselbe bleibt. Trotz der verschiedenen Datierungen von Eintragen in den Übersetzungen ist Werthers leidenschaftliche und zugegeben etwas unheimliche Frage vom 14. Dezember (im Originaltext) – „Ist nicht meine Liebe zu ihr die heiligste, reinste, brüderlichste Liebe?“ (50) – in den Übersetzungen erhalten. Somit ist bewiesen, dass Werthers Dilemma nicht nur die deutsche Audienz anspricht, sondern auch die Niederländer sich Werthers Frage „Is mijn liefde tot haar niet de heiligste, zuiverste, broederlijkste liefde?“ stellen.

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